Wagen wir einen Blick in die Geschichte: In den 1920er Jahren beteiligten sich viele Bürger:innen in Energiegenossenschaften, um die Elektrifizierung in Deutschland voranzubringen. Obwohl es zeitweise über 6.000 Elektrizitätsgenossenschaften gab, kennt kaum jemand diese Geschichte. Ob Energiegenossenschaft oder auch Kneipengenossenschaft - wie in LandAussichten Folge 22 – das Thema Genossenschaften auf dem Land lässt uns und viele nicht los. Höchste Zeit einmal darauf zu schauen, wie die Wurzeln des Genossenschaftswesens aussehen und was sich gewandelt hat.
Zu Gast ist in dieser Folge Ann-Morla Meyer. Sie ist Elektroingenieurin und Technikhistorikerin und befasste sich in ihrer Forschung mit einem Dorf, in dem Genossenschaften eine wichtige Rolle spielten.
Genossenschaften sind demokratisch verfasste Unternehmen mit förderwirtschaftlicher Zielsetzung
Genossenschaften verbindet, dass sie ein kollektiver Zusammenschluss sind, so Morla Meyer. Es geht dabei um wirtschaftliche Selbsthilfe und jede:r ist mit Geld/Arbeitskraft beteiligt. Egal wie viele Anteile man an einer Genossenschaft besitzt, man hat nur eine Stimme in der Genossenschaftsversammlung. Das macht sie zu sehr demokratischen Wirtschaftsunternehmen, bei dem alle mitbestimmen können.
Genossenschaften wurden erst 1889 im Reichsgesetz verankert. Nach Friedrich Wilhelm Raiffeisen folgt der Genossenschaftsgedanke der Idee: „Was der Einzelne nicht vermag, das vermögen viele“. Dabei stecken viele leitende Werte im Genossenschaftsgedanken: Nach dem Förderprinzip sollen durch die gemeinsame Organisation die Interessen der Genoss:innen gefördert werden. Gemäß des Identitätsprinzips sind Mitglieder zudem zeitgleich Eigentümer:innen und Kund:innen. Das Demokratieprinzip sichert allen Mitgliedern unabhängig von der Höhe ihrer Anteile die gleiche Mitbestimmung zu, während das Freiwilligkeitsprinzip festhält, dass Art und Umfang des Engagements unterschiedlich sein können.
Genossenschaften funktionieren nur mit einem Gemeinschaftsgefühl, so Morla Meyer. Gute Voraussetzungen also für Dörfer, sich mit dem Konzept genauer zu beschäftigen und auch mal zu schauen, welche Arten von Genossenschaften es vielleicht schon in der Dorfgeschichte gab. Vom Beispiel Unsleben berichtet Morla Meyer uns im Gespräch. In diesem 900-Einwohner-Dorf kam in den frühen 1910er Jahren mit Hilfe einer Genossenschaft Elektrizität ins Dorf. Dies führte zu einigem (damaligen) Luxus wie Futterschneidemaschinen, elektrischen Lampen und auch einem E-Herd für die Schulspeisung. Von der Haltung der damaligen Dorfbevölkerung kann man einiges lernen: Etwa die Bedeutung kleiner Schritte, auch bei komplexen Herausforderungen. Oder auch das Abwägen zwischen den Vorteilen der (technischen) Errungenschaften und der Akzeptanz von etwaigen Nachteilen wie bspw. Lärm. Im Gespräch wagen wir auch einen Blick in die Gegenwart, um zu sehen, wie das Dorf heute eine dezentrale Energieversorgung lebt. Auch das Thema, wie genossenschaftliche Finanzierungen gesellschaftliches Miteinander ermöglichen können, wird von Ann-Morla beleuchtet.
Weitere Quellen zur Vertiefung
· Ann Morla Meyer hat zum Thema ein Buch publiziert: „Dezentrale erneuerbare Energien damals und heute. Genossenschaftliche Elektrifizierung in den 1920er Jahren am Beispiel von Großbardorf“, erhältlich unter: https://t1p.de/eogi3
· Mehr Informationen zum Grundgedanken, den Zielen und Funktionsweisen finden sich unter: https://t1p.de/0tucp
· Mehr zur Bedeutung von Genossenschaften für ländliche Ökonomien und als Reaktion auf bestehende Megatrends lässt sich hier nachlesen: https://t1p.de/eogi3
· Ein Podcast von Inside Impact, der sich speziell mit Genossenschaften als soziale Innovationen in Österreich beschäftigt, lässt sich hier nachhören: https://t1p.de/wfzm1
· Der Deutsche Raiffeisenverband vertritt die Interessen der genossenschaftlich organisierten Unternehmen der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft: https://t1p.de/830va